„Der mit ein paar wilden Felszacken dekorierte Heidenkopf gehört zu den lohnenden und trotzdem verhältnismäßig wenig bestiegenen Skibergen.“ (Seibert, Skiführer Allgäuer Alpen)
Der ganz normale Wahnsinn 1. Oder: Allgäu für 30 Stunden
Dieser Winter hieß Warten. Warten auf Sonne, Warten auf Schnee und noch mehr Warten auf die perfekte Schneekonsistenz. Und das Schlimmste: Warten auf die Tage, an denen diese drei Faktoren tatsächlich miteinander harmonieren und noch schlimmer: man auch noch gesund ist und die Zeit hat, um diese Tage nicht nur über die Webcam oder anhand von Tourenberichten anderer digital zu betrauern.
Wochenendalpinismus: keine unstressige Angelegenheit. Aber was tut man nicht alles für ein paar Stunden im Rausch. Ausruhen kann man sich schließlich nach dem Leben lang genug und davon hat man ja bekanntlich nur eins.
Mittwoch: der Wetterbericht verspricht allerfeinstes Weiß-Blau-Wetter für das Wochenende. Maus bequatscht, One-night-Appartement mit viel Glück ergattert, drei schlaflose Nächte, weil die geplante Tour und alle Eventualitäten, die diesen Plan stören könnten, hundertmal im Kopf vorgespielt werden, ein bisschen Hypochondrie („Kratzt mir gerade etwas im Hals? Oh nein!…“ „Die Nachbarin hustet – wasch‘ dir bloß die Hände!“) und schon (?) ist es Samstag 4 Uhr 30. Vorpräparierte Schnitten eingeatmet. Ins vorpräparierte Auto gesackt. Wie seltsam ist doch unser Reisen: CD 1 – Schluck Kaffee – CD 2 – Schluck Kaffee – CD 3 – Schluck Kaffee – CD 4 – Besser keinen Kaffee mehr – CD 5 – Sonthofen!
Sonthofen. Mit der seit Monaten bekannten erdrückend grauen Wolkenhaube. Wenn Träume sterben… Aber der Wetterbericht, hat doch… Hat er auch. Nämlich Recht. Riedberger Pass – 1400m – blauer Himmel! Und wie in alten Zeiten, von denen die Eingeborenen so gern sinnieren, vor der Klimaerwärmung in Bayern, wird die Passstraße von einer autohohen Schneemauer gesäumt.
Und unser Auto sagt: Benzin gleich alle. Weil der Fahrer – also ich – der Meinung, dass 10 Minuten Tankstopp einfach zu viel Verzögerung, einfach nicht mehr drin. Der Kaffee eben. Also noch ein bisschen gebangt – keine Reise ohne Hindernisse – und nach Balderschwang gerollt. Ziel: Siplinger Kopf und Heidenkopf.
Einmal Felle auf die Ski, einmal Felle auf das Splitboard und als ich mich das erste Mal umdrehe, sehe ich die Maus als kleinen lila Punkt in der weißen Landschaft. Kaffeeüberdosis.
Schöne weite und freie Almflächen von angenehmer Steigung, selten mal eine zwingende Spitzkehre, Südhang, Firn, ja und ab und zu auch mal ein Harschdeckel. Allein ist man natürlich bei so einem Wetter, auf das Tausende seit Monaten warten, nicht. Aber es hält sich in Grenzen. Ein paar abgegangene Bodenlawinen sind zu bestaunen, doch die gefährden den Tourenverlauf nicht. Das letzte Stück soll an eine Halfpipe erinnern, ich assoziiere eher einen Geburtskanal, der rückwärts beschritten wird. Kleiner Grat und Siplingerkopf. Panorama: es scheint, als ob man Bände damit füllen könnte, die Namen aller sichtbaren Gipfel aufzuschreiben.
Abfahrt: Pulver im Dauerschatten, Firn in der Sonne, Harsch im Halbschatten garantieren Abwechslung und sorgen dafür, dass die Pulverstellen in besonders weiten Bögen gesurft werden – *ffffffhhhhsch*. Die Maus klagt über brennende Oberschenkel, schwere Bindung und Drei- statt Vierschnallenschuhe, während ich und vor allem mein Kopf gerade in die Welt des weißen Glücks abdriften.
Nach der Abfahrt sammeln, cool down, auffellen und den etwas steileren Hang zum Heidenkopf im Zickzack hinauf. Aus kleinen Flysch-Türmen – ein mehr schlecht als recht zusammengeklebtes Konglomerat, an dem man wohl auch Klettern können soll *grusel* – ist sein Gipfel aufgebaut. Und die späte Nachmittagssonne überzieht die Landschaft mit gelbem Gold.