„Das Mahdtal trennt die beiden gigantischen Schrattenkalkriegel der Unteren und Oberen Gottesackerwände, über die das Riesenkarrenfeld des Gottesackerplateaus zum Rohrmoostal hin 900m tief abstürzt.“ (Mayr, Winterwandern Allgäuer Alpen)
Plan und Tat – der Zauberkeller
Ende März. „Ich geh‘ mal in den Keller die Ski einmotten.“ Irgendwann kommt der Zeitpunkt da ist Schluss mit Skigymnastik und Skitouren. Das schlechte Gewissen, seit Monaten keinen Fels mehr befingert zu haben, treibt einen in die Klettergärten nach Berdorf und Igel. Und bei über zwanzig Grad fällt das eigentlich auch nicht schwer. „Ich geh‘ mal in den Keller die Ski einmotten.“ Denn nächstes Wochenende: wir waren schon lange nicht mehr in der Tannheimer Südseite. Mal in der Einsamkeit der frühjährlichen Vorsaison schauen, ob man noch seinen eigenen Ansprüchen genügt. Die Wände und fast auch die Zustiege sahen jedenfalls durch die digitalen Augen der Webkameras betrachtet schön aper aus.
Aber dann, wie ich aus dem Keller kam, quasi über Nacht: die größte Neuschneemenge im Allgäu im gesamten Winter: siebzig bis einhundertzehn Zentimeter Neuschnee. Lawinenwarnstufe 4. Die Freudig-Topos neben dem Stillen Örtchen machen den Skitouren-Führern wieder Platz. Kommt jetzt doch endlich der langersehnte Winter? Fällt es eigentlich der Motivation schwer, von „10 Seillängen Südwestkante mit Gipfeldurchstieg“ auf die alles entscheidende Frage: „Pulver oder Firn?“ umzuschalten? Aber es sind noch 5 Tage. „Skigymnastik mit Manuel“ bei Youtube (noch 10, noch 9, noch 8, 7, 6 …) anstatt Igel-Querungen-mit-Cams-legen-Spielchen. Oh ist das bitter, noch 5 Tage zu warten.
Kurzum: die Zeit ist ausgesessen, das Wochenende ruft, Frühjahrssituation, Nachtfrost, Lawinenwarnstufe 1 (alles geht), die Sonne hat die letzten Tage den Schnee gebraten.
6:45 Uhr. Wir stehen am Mahdtalhaus und schauen auf den Beginn unserer Skitour. Auf dem grasigen Hang haben sich noch die Spuren von zwei kümmerlichen Schwüngen Schnee eines Abfahrers von vor geschätzt drei Tagen erhalten. Wir laufen den Hang hinauf, die Ski auf dem Rücken, und versuchen, keine Krokusse mit unseren Riesenbollerschuhen zu zermatschen.
Wir sagen uns, dass das landschaftliche Erlebnis heute bestimmt grandios und im Vordergrund stehen wird und es bestimmt kein Fehler ist, dass das Kletterzeug fünfhundert Kilometer weiter nördlich schlummert, während wir abwechselnd die Ski weiter durch den Wald tragen oder durch den Laub-Schnee Skitouren.
Doch dann kommt irgendwann der Schalter: Mahdtalalpe! Winter! Unter Toreck und Torkopf folgen wir einer Mulde. Landschaftlich grandios! Bald stehen wir auf den Unteren Gottesackerwänden. 270° Bergketten-Panorama, die fehlenden 90° versperren die Oberen Gottesackerwände: Grünten, Trettach, ….. Und das Geschenk: ganz allein inmitten dieser Welt aus weißen Kuppen.
Die Abfahrt. Kennst du das, wenn du beim Aufstieg das Gefühl hast, du läufst auf einer präparierten Piste, weil der Schnee noch von der Nacht gefroren ist? Und wie in der Zeit, während du auf dem Gipfel weilst, die Sonne die oberen Zentimeter anschmilzt? Auffirnen nennt man das. Und als Skitourengeher magst du zwei Sachen ganz besonders: Pulver und Firn. Und den Firn – zur Krönung auch noch ohne Spuren – der belohnt uns jetzt. Würde man doch langsamer abfahren, um die Zeit des Glücks zu dehnen. Von diesen Minuten des Rausches müssen wir zehren auf dem sommerlich warmen kombinierten Abfahrts-Abgang ab der Mahdtalalpe hinunter ins Tal. Vom Frühling in den Winter und wieder retour. Eine Flucht zurück in der Zeit. Und zur Mittagszeit an der Mahdtalalpe: Apfelstrudel mit süßer Zitronenlimo. Faul in der Sonne lümmeln. Eins steht jedenfalls fest zu 10 Seillängen versus Pulver oder Firn: Skitouren ist entspannter als Klettern.