Schneck „Ostwand“ 6+, 260m

„Allein schon aus alpinhistorischen Gründen ein Allgäu-Highlight.“ (Pasold, Kletterführer Allgäu)

 

Legendenklettern – Schneck-Ostwand

Vorspiel

Wie tickt der Bewohner des Allgäus? Uns scheint, immer öfter so: um sechs Uhr fliegen wir vom Campingplatz. Wie wir auf den Platz gekommen seien ( – durch die Schranke?). Was wir hier machen würden ( – legal Zelten auf einem geöffneten Zeltplatz zur Unterstützung der hiesigen Geldwirtschaft?). Erst gibt es Zeltplätze, die seien aber alle belegt ( – wir haben auf dem Platz kein einziges Zelt außer unserem gesehen), dann gibt es plötzlich gar keine Zeltmöglichkeit ( – komisch, stand da nicht in großen Lettern und an erster Stelle „Zelte“ an der Eingangspforte?). Da hilft kein Beschwören und Beschwichtigen, kein Diskutieren (die Ausreden werden eh immer unkreativer) und auch kein Versichern, unsere monetären Pflichten selbstverständlich zu erfüllen. Wir sind Dreck, der weggekehrt gehört. In Deutschland! Im Allgäu! In Sonthofen! (Im Camping an der Iller). Nach circa 100 legalen und illegalen Zeltplätzen in unserem noch kurzen Leben fliegen wir das erste Mal vom Platz. Warum? Wir wissen es bis heute nicht. Aber wenn wir nicht in einer halben Stunde verduftet sind, kommt die Polizei (ganz sicher…) und das brächte unseren Zeitplan vollends durcheinander.

Uns fällt es nicht schwer, nach der schlaflosen sechsstündigen Hochzeitsnacht (näher an der Bundestraße nach Oberstdorf als an der Iller) den Platz zu räumen. Und gegen Bluthochdruck, Herzinfarkt und das Durchbrennen der Sicherung empfiehlt der Arzt: Schneck-Ostwand.

Wir treten erstmal ordentlich zu – gedanklich und in die Pedalen. Durch das Hintersteiner Tal bis zum Giebelhaus eher noch gemütlich in der föhnig-warmen Oktobermorgenluft, dann jedoch Richtung Point-Hütte schon entschiedener und verbissener.

Hauptgang

Schneck-Ostwand. Eine Legende. In allen nur erdenklichen Berichten und Kletterführern über die Wand liest man immer wieder dieselben Zeilen. So oft, dass ich sie schon fast nicht mehr hören und schreiben kann: „Eishaken wegen des mürben Gesteins vorteilhaft“. Und man liest immer wieder vom Erstdurchsteiger der Eiger-Nordwand, Anderl Heckmair, der über die Wand geurteilt hat, „sie sei schwerer als die Große-Zinnen-Nordwand“ in den Dolomiten. Das adelt.

Die große Schneck-Ostwand. Und wir (ganz klein) spüren gerade in den Beinen, dass wir seit Wochen nicht mehr radeln waren. Und sind wir eigentlich fit für die Schwierigkeiten der Wand? Denn die letzten Monate haben wir lieber eine alpine Kletterperle nach der anderen gepflückt, anstatt brav im Klettergarten Quergänge bis zum Erbrechen zu trainieren, was der Qualität der Unterarme sicherlich zuträglicher gewesen wäre.

Immerhin sind die Bedingungen perfekt: trocken und sonnig. Schon von Weitem – wir haben inzwischen vom Rad- in den Laufmodus umgeschaltet – erkennt man die letzten Qualen vor dem Erreichen des Wandfußes: ein steiler, pfadloser Schutthang. „Denk an den Typen von heute Morgen, wie er dich auf der Toilette überrascht und angeschrien hat!“ – Das setzt ungeahnte Kräfte frei. Allem kann man etwas Positives abgewinnen. Merci!

An der Einstiegshöhle schielen wir uns gegenseitig an. Na, wer darf oder muss ran? „Willst du vielleicht die überaus gut gesicherte, steile erste Länge auf dich nehmen? Ist doch genau deine Kletterei… Und 6 plus, das kannst du doch locker…“ – … „Nee – heute überhaupt nicht!“ – „…*?*… (Na toll… Warum hat das mit dem Hochquatschen immer nur bei mir funktioniert?)“

Also fällt die erste Länge (wie auch der Rest) mir zu. Bevor ich mir den Klettergurt wieder ausziehen und den Schutthang hinabschlittern muss, um mir ein Versteck zu suchen, worin sich meine gesamte Aufregung hin entladen kann, steige ich lieber blitzschnell ein. Die erste Länge gleich der Schlüssel. Das angeblich brüchige Gestein und die Einschläge im Wandfußbereich nehme ich gar nicht wahr. Ich konzentriere mich eher darauf, in der Steilheit der Wand mich von einer Zange zur nächsten zu strecken. Je mehr Routen man in seinem Tourenbuch stehen hat, desto größer scheint einem die Wahrscheinlichkeit, jetzt wirklich alle Gesteine mit ihren Varianten in Schichtung und Formung befingert zu haben. Doch diese erste Länge der Schneck-Ostwand – unvergleichlich mit allem bisher Erlebten.

Und dann wird die Wand plötzlich so leicht und gar nicht gruslig oder furchteinflößend. Eine Sechs-Meter-Verschneidung mit 3 Normalhaken und einem fixen Friend – plaisir nenne ich das. Und zack – am Wandbuch. Nummer 859 seit 1922. Dem Fels hat das bisher noch nicht geschadet. Im nachfolgenden Quergang mit Normalhaken im Zwei-Meter-Abstand höre ich mich schon fragen, wozu ich eigentlich die Freunde noch an den Gurt gebaumelt habe. Doch das i-Tüpfelchen kommt erst noch. Nicht mehr schwer ist die Wand auf den letzten beiden Längen, dafür speziell. Besonders das Finale, wo man sich im steilen Gras auf die Suche nach den Löchern begibt, die die Vorgänger gegraben haben und die manchmal Wurzeln oder eingebackende Felsblöckchen tief in ihrem Inneren beherbergen. Über solche Griffe freut man sich im Herbst, denn die Grashalme sind nicht mehr saftig, sondern spröde, und eignen sich folglich gar nicht, um sich daran beherzt hochzuziehen. Und die Murmeltiere schlafen alle schon und wer schläft, kann nicht beißen. Dann noch ein bisschen Eiertanz und wir stehen auf den letzten Metern und schließlich am Gipfelkreuz. Berg Heil! Mal wieder alles gepasst.

Nachschlag

Abseilen, Abgang, Abfahrt, Ostrachwellen – lecker! Und wenn wir mal wieder wie so oft richtig schlecht drauf sind, dann denken wir an den Camping an der Iller zurück. Das setzt Energien frei… Da brauchst du kein „Allez! Allez!“ oder „Komm, auf geht’s!“ mehr ;-)